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Was geschieht, wenn Erzählen zur Heimsuchung wird? Jutta Fortin zeigt, wie sich das Verdrängte in Rhythmus, Syntax und Bild einschreibt und im literarischen Text fortwirkt. Ausgehend von André Greens Konzept der „toten Mutter“ entwickelt sie ein Lektüremodell, das eine neue Poetik des Verlusts entfaltet. Das Phantomatische erweist sich dabei als ästhetischer und ethischer Modus, in dem sich private und kollektive Traumata verbinden – von der familiären Leerstelle bis zur Nachwirkung der Shoah. Von Camille Laurens über Alain Fleischer und Yves Ravey bis zu Erri De Luca verdeutlicht Fortin, wie sich seit den 1980er Jahren Verlust und Erinnerung zu einer gemeinsamen Form verschränken. Zwischen Fotografie und Schrift, zwischen Mythos, Märchen, Körper und Raum wird das Unsagbare nicht erklärt, sondern spürbar. Das Schreiben gibt dem Verlorenen kein Ende, sondern eine Gestalt, die wandert, zirkuliert und weiterlebt. In den Texten bewahrt sich so die Gegenwart des Abwesenden – als Spur, als Nachhall, als leises Fortleben in der Sprache der Literatur.